Gastbeitrag von Lars Klingbeil im Handelsblatt: „Ende der angstgetriebenen Datendebatte“

Erschienen im Handelsblatt am 24. November 2014: Es ist Zeit für eine fortschrittliche Netzpolitik. Gebraucht wird ein Konsens, der Chancen nach vorne stellt, Grenzen und Potenziale definiert. Daten sind die Grundlage der Digitalisierung unserer Gesellschaft. Die Anzahl von Daten wächst exponentiell. Dieser Trend wird sich weiter verstärken.

Gleichzeitig entstehen neue technologische Möglichkeiten der Speicherung, Verarbeitung und Analyse von Daten. Big Data wird zu einem der zentralen politischen Handlungsfelder.

Die Nutzer werden zu Treibern der Entwicklungen: Immer mehr Menschen geben ihre Daten dort preis, wo sie einen konkreten Nutzen in Form von Diensten und Produkten sehen. Wachsende Datenmengen und ihre Verknüpfung und Auswertung sind die Grundlage für gesellschaftliche Innovationen.

Epidemien werden frühzeitig erkannt, Verkehrsführung wird intelligenter, und die Energieversorgung kann besser gesteuert werden. Für den Einzelnen entsteht der Nutzen konkret, wenn Krankheiten erkannt, Staus umfahren und Energiepreise gesenkt werden können.

Differenzierung der Daten nach ihrer Sensibilität

Kurzum: Viele künftige gesellschaftliche und ökonomische Innovationen beruhen auf dem Sammeln und Auswerten von großen Datenmengen. Zahlreiche neue Geschäftsmodelle beruhen auf Big Data. Das Ziel muss sein, dass diese Innovationen in Deutschland stattfinden. Es ist daher die Zeit gekommen für eine fortschrittliche Datenpolitik in Deutschland, die vor allem auch die Chancen in den Vordergrund stellt.

Erstens: Schluss mit angstgetriebenen Datendebatten. Die Grundhaltung unserer Diskussion darf nicht mehr geprägt sein von der Volkszählungsdebatte der 80er-Jahre. Es geht um einen Gestaltungsanspruch der Politik. Wir brauchen einen Konsens, der die Chancen nach vorne stellt, Grenzen und Potenziale definiert. Dabei geht es um Differenzierung der Daten nach ihrer Art und Sensibilität. Und es geht ebenso um unterschiedliche Stufen der Datenverarbeitung, des Zugriffs und ihres Schutzes.

Harte Regelungen und Sanktionen muss es dort geben, wo sensible persönliche Daten betroffen sind. Ein Impuls für die Art der Diskussion kann die von US-Präsident Barack Obama eingesetzte Podesta-Kommission sein. Hier wurden auf höchster Ebene Handlungsempfehlungen für Big Data und den Grundrechtsschutz entwickelt.

Angst vor Daten-Tsunami ist unbegründet

Zweitens: In Zeiten von Datenvielfalt hat sich Datensparsamkeit als Prinzip überlebt. Politische Regulierung, die auf Vermeidung von Daten ausgerichtet ist, hat sich überlebt: Daten sind gewollt. Sie sind äußerst wertvoll, etwa wenn es darum geht, die Potenziale von intelligenten Netzen und Infrastrukturen zu nutzen.

Die Angst vor einem Daten-Tsunami ist unbegründet, wenn richtige Rahmenbedingungen gesetzt werden. Technischer Datenschutz wie Anonymisierung und Pseudonymisierung muss ebenso gefördert werden wie Verschlüsselungstechnologien oder die Speicherung der Daten auf Servern in Deutschland.

Investitionen in Forschung und Entwicklung von Datensicherheit gehören ausgeweitet. Nutzerrechte wie etwa Transparenz oder verständliche Opt-out-Verfahren müssen gestärkt werden. Letztlich müssen die Nutzer entscheiden können und dürfen, was mit ihren Daten passiert.

Drittens: Digitale Selbstständigkeit wird zur Grundlage. Data Literacy, Programmieren und Datenautonomie gehören als wesentliche Themen in unser Bildungssystem. Die Menschen müssen befähigt werden. Es geht darum, die Sensibilität der Nutzer zu stärken und die digitale Kompetenz zu erhöhen. Digitale Selbstständigkeit ist die beste Grundlage für einen zeitgemäßen Umgang mit Daten und für modernen Verbraucherschutz.

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Lars Klingbeil, Netzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion